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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 25.09.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 743/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 302 I 1
StPO § 274
Eine Rechtsmittelverzichtserklärung kann ausnahmsweise unwirksam sein, wenn sie vom Verteidiger unmittelbar im Anschluß an die Urteilsverkündung spontan und ersichtlich ohne vorherige Abstimmung mit dem Angeklagten erklärt wird und dieser sich dazu nicht äußert (vgl. OLG Zweibrücken StV 89,11; ähnlich BayObLG NStZ 95,142).

Entspricht das verkündete Urteil exakt den Schlussanträgen der Verteidigung, sind an die einer anwaltlichen Rechtsmittelverzichtserklärung vorauszugehende Rücksprache mit dem Angeklagten jedoch keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie kann sich darauf beschränken, dass der Angeklagte darauf hingewiesen wird, das Urteil sei erwartungs- und absprachegemäß dem eigenen Antrag entsprechend ergangen, und sich der Verteidiger lediglich noch einmal vergewissert, dass sich an der bereits vorher geäußerten Bereitschaft des Mandanten, ein solches Urteil zu akzeptieren und nicht anzufechten, nichts geändert hat.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 1 Ws 743/02

In der Strafsache

wegen Verbrechens gegen das BtMG

hier: Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, sowie die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa

am 25. September 2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts M. vom 29. August 2002 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

Der Angeklagte stellt nicht in Abrede, daß der Rechtsmittelverzicht (§ 302 Abs. 1 S. 1 StPO) von seinem (damaligen) Verteidiger erklärt wurde. Die mit der Beschwerde vertretene Auffassung des neuen Verteidigers, "dass es nicht ausreicht, wenn ein Verteidiger das Urteil...annimmt und auf Rechtsmittel verzichtet" (Schriftsatz vom 11.9.2002 S. 2), ist unrichtig. Ein Rechtsmittelverzicht kann auch vom Verteidiger allein erklärt werden. Ist das, wie hier, auf wirksame Weise geschehen, braucht die Erklärung nicht vom Angeklagten noch einmal persönlich wiederholt zu werden.

Für unwirksam wird eine solche Verzichtserklärung ausnahmsweise nur dann gehalten, wenn sie vom Verteidiger unmittelbar im Anschluß an die Urteilsverkündung "spontan und ersichtlich ohne vorherige Abstimmung mit dem Angeklagten" erklärt wird und dieser dazu schweigt (OLG Zweibrücken StV 89,11; ähnlich BayObLG NStZ 95,142). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Verteidiger haben die Rechtsmittelverzichte erst "nach Rücksprache mit beiden Angeklagten" erklärt (Protokoll Bl. 294). Daß es eine solche Rücksprache entgegen dem Sitzungsprotokoll nicht gegeben habe, behauptet auch der Angeklagte nicht; er ist lediglich der Auffassung ("ist sich sicher"), dabei die "Bedeutung und Konsequenzen eines Rechtsmittelverzichts nicht besprochen" zu haben, und zwar "schon deshalb nicht, weil der Dolmetscher nach Urteilsverkündung nicht getrennt beiden Verurteilten", jedenfalls nicht dem Angeklagten "zur ausschließlichen Besprechung" mit seinem Verteidiger zur Verfügung gestanden habe. Diese Ausführungen, die eine Vermischung von objektiven Fakten und subjektiven Wertungen des Angeklagten zum Inhalt haben, lassen jedenfalls den Schluss zu, dass der Dolmetscher ihm und seinem Verteidiger, wenn auch nicht "getrennt" und nicht "ausschließlich", so aber doch zur gemeinsamen Besprechung der beiden Angeklagten mit ihren beiden Verteidigern zur Verfügung stand und diese gemeinsame Besprechung auch gedolmetscht hat. Das genügt, um einen "spontan und ohne Abstimmung mit dem Angeklagten" vom Verteidiger allein - gewissermaßen "auf eigene Kappe" - erklärten Rechtsmittelverzicht auszuschließen. Dass die zuvor erfolgte Abstimmung des Verteidigers mit dem Angeklagten unter vier Augen ("ausschließlich") und "getrennt" vom Mitangeklagten und dessen Verteidiger zu erfolgen habe, wird, soweit ersichtlich, nirgends vertreten; eine solche Forderung wäre auch sachlich ungerechtfertigt.

Daß die zu fordernde vorherige Abstimmung u. U. auch kurz und bündig erfolgen kann, versteht sich jedenfalls dann von selbst, wenn das Urteil, wie hier, exakt den Schlussanträgen der Verteidiger und auch denen der Staatsanwaltschaft entspricht. Jedenfalls bei einer solchen Verfahrenslage kann grundsätzlich von einer (schon vor den Schlussvorträgen erfolgten) umfassenden Abstimmung der Verteidigung mit Aufklärung des Angeklagten auch über die Konsequenzen einer solchen von ihm selbst beantragten Verurteilung ausgegangen werden.

Der - zuletzt geständig gewesene - Angeklagte hat, obwohl die angefochtene Entscheidung auf diesen Gesichtspunkt ausdrücklich hinweist, nicht in Abrede gestellt, dass das schließlich verkündete Urteil genau seinen mit der Verteidigung erörterten Vorstellungen und Erwartungen entsprach. Vor diesem Hintergrund sind an die einer anwaltlichen Rechtsmittelverzichtserklärung vorausgegangene Rücksprache keine allzu hohen Anforderungen (mehr) zu stellen. Sie kann sich darauf beschränken, dass der Angeklagte darauf hingewiesen wird, das Urteil sei erwartungs- und absprachegemäß dem eigenen Antrag entsprechend ergangen, und sich der Verteidiger lediglich noch einmal vergewissert, dass sich an der bereits vorher geäußerten Bereitschaft des Mandanten, ein solches Urteil zu akzeptieren und nicht anzufechten, nichts geändert hat.

Dass die vom Angeklagten als solche nicht bestrittene Rücksprache nicht einmal diesen Mindestinhalt gehabt hätte, wird auch von der Beschwerde nicht behauptet. Überhaupt fällt auf, dass das Beschwerdevorbringen, soweit Vorgänge zwischen Urteilsverkündung und Rechtsmittelverzichtserklärung behandelt werden, sich auf wertende, interpretierende Ausführungen beschränkt; soweit es sich überhaupt um Tatsachenvortrag handelt, ist dieser lediglich auf Vorgänge nach Abgabe der Rechtsmittelverzichtserklärung bezogen (er sei "sich sicher, dass er selbst auf keinen Fall auf Rechtsmittel ... verzichtet hat... Er ist sicher, dass ihm eine Annahme des Urteils und ein Verzicht auf Rechtsmittel nicht vom Dolmetscher übersetzt wurde... Er hat nicht verstehen können, dass eine Annahme des Urteils und ein Verzicht auf Rechtsmittel von den Verteidigern, insbesondere auch von seinem Verteidiger, erklärt wurden").

Im übrigen beschränkt sich das Beschwerdevorbringen auf den Hinweis, "das Sitzungsprotokoll (weise) nicht ausdrücklich aus, dass zu (seinem) Verständnis...vom Dolmetscher eine Übersetzung der Erklärung beider Verteidiger in Bezug auf Urteilsannahme und Rechtsmittelverzicht erfolgt ist"; eine Übersetzung "der oben zitierten Erklärung beider Verteidiger" könne somit "durch das Sitzungsprotokoll nicht nachgewiesen werden". Darauf kommt es jedoch nicht an. Die Übersetzung von "Erklärungen" durch den lt. Protokoll an der Sitzung mitwirkenden Dolmetscher gehört nicht zu den Förmlichkeiten, die in das Sitzungsprotokoll aufgenommen werden müssen und nur durch dieses bewiesen werden, sondern ist eine Selbstverständlichkeit, deren Protokollierung das Protokoll unnötig belasten würde und deshalb zu unterbleiben hat. Im übrigen hätte das vom Angeklagten behauptete Fehlen einer Übersetzung der Rechtsmittelverzichtserklärung die Wirksamkeit des zu diesem Zeitpunkt bereits ordnungsgemäß erklärten Rechtsmittelverzichts ohnehin nicht mehr berühren können.

Das weitere Beschwerdevorbringen, der Angeklagte habe "bereits unmittelbar nach Verkündung des Urteils für sich beschlossen, mit einem anderen Verteidiger den gegen ihn laufenden Strafprozess in einer Berufungsverhandlung neu aufzurollen", so dass für ihn auch "kein Grund bestanden habe, unmittelbar auf das Urteil folgend auf Rechtsmittel zu verzichten", ist ohne Relevanz. Es handelt sich um die Behauptung innerer Vorbehalte, die, wenn sie bestanden haben sollten, im Widerspruch zum objektiven Verhalten des Angeklagten gestanden hätten und sich im übrigen auch jeder Überprüfung entziehen würden. Wäre das Nachschieben solcher Ausführungen beachtlich, liefe dies auf die freie Widerruflichkeit oder Anfechtbarkeit eines Rechtsmittelverzichts hinaus; tatsächlich ist ein solcher jedoch weder widerruflich noch anfechtbar (BGH NJW 84, 1974; 80, 469; NStZ 84, 181, 329; StV 88, 372). Aus dem gleichen Grund ist auch das zusätzlich nachgeschobene Vorbringen im Schriftsatz vom 23.09.2002 unbeachtlich.

Die Interpretation des Beschwerdeführers, die protokollierte Rechtsmittelverzichtserklärung der beiden Verteidiger, die anschließend auch noch "vorgelesen und genehmigt" wurde, habe zum Ausdruck bringen sollen, "dass nur sie, nicht aber gleichzeitig ihre Mandanten, das verkündete Urteil annehmen und einen diesbezüglichen Rechtsmittelverzicht erklären wollen", ist angesichts der ausdrücklichen Protokollierung "nach Rücksprache mit beiden Angeklagten" derart fernliegend und unnatürlich, dass ein näheres Eingehen des Senats hierauf entbehrlich erscheint.

Kosten: § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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